Das Dilemma des Kegelsports

Wo fange ich bei dem Thema bloß an?

In meinen letzten Beiträgen über die Spieltage unserer SG bin ich ja schon manches Mal mit dem Thema abgedriftet und habe meinen Unmut über die eine oder andere Gegebenheit des Kegelsports Luft gemacht. Nach der Siegerehrung bei der Vereinsmeisterschaft bin ich geradezu aufgeschreckt und in mir wuchs der Wunsch, das Dilemma des Kegelsports noch einmal kompakt zusammenzufassen.

Mitleser des Blogs, die zugleich auch Kegelfreunde sind, sind herzlich eingeladen, mitzudiskutieren. Aber der folgende Beitrag richtet sich nicht nur an Kegelfreunde. Ich bin sicher, der eine oder andere Punkt trifft auch auf andere Sportarten zu.

Rückhalt

Der Rückhalt des Kegelsports bezieht sich auf wenige Personen, die den Großteil ihrer Freizeit dafür opfern. Der große Teil ist die Herde der Gewohnheit. Man kommt zum Trainingsabend, man lässt die Spiele am Sonntag über sich ergehen. Und nimmt vielleicht noch an Meisterschaften teil. Feierabend.

Besonders deutlich empfand ich das während der Siegerehrung der Vereinsmeister. Da waren tatsächlich zwei mal die Drittplatzierten gar nicht anwesend, obwohl sie an dem Tag gekegelt haben. Nach dem Motto „ich habe nicht damit gerechnet, dass ich noch Dritter werde“ ist man dann gegangen. In einem Falle war sogar der Sportwart eines mir sehr gut bekannten Vereins unter den Vermissten…Ein Trauerspiel.

Viele weitere Aktive glänzten durch Abwesenheit, statt der Ehrung beizuwohnen. Wenn jemand einen Hof zu bewirtschaften hat oder Sonntags zur Arbeit muss, dann kann ich das noch nachvollziehen. Aber die Alterstruktur des Kegelsport weist viele Rentner auf. Und denen ist dann Kaffee und Kuchen wichtiger.

Sicher kostet der Kegelsport auch Zeit. Aber das tut Sport im Generellen immer. Es lässt aber in meinen Augen ein Mindestmaß an Respekt anderen gegenüber vermissen, wenn man einer Ehrung nicht beiwohnt.

Und plötzlich bekam die Aussage des Fotografen des lokalen Blattes und einiger Organisatoren, zwecks Fotos nach der Ehrung noch da zu sein, einen Sinn. Ich dachte echt, die wollten mich verarschen. Natürlich bin ich da, ich hau doch nicht gleich danach ab. Schade das andere es schon vorher taten.

Jugendarbeit

Und was wird unserer handvoll Jugendlichen für ein Signal gegeben? In unserem Verein bin ich mit fast 35 Jahren der jüngste Kegler. Mein Bezug zu Jugendlichen im Teenager-Alter wird nicht unbedingt besser. In anderen Vereinen sieht das nicht besser aus. Je zwei geehrte B-Jugendliche (bis 14 Jahre) bei den Jungs und bei den Mädchen, keine A-Jugend (14-18 Jahre) und zwei Juniorinnen (18-21 Jahre), das wars. Das ist unser Nachwuchs 2010/2011.

Die zwei B-Jugendlichen Jungs, die keiner Trendsportart nachgehen, sondern kegeln…was sind die für Repressalien in der Schule und ihrem Freundeskreis ausgesetzt? Vergessen wir nicht, dass Kinder grausam sein können. Ich habe es doch selbst erlebt. Und von unseren Jugendlichen Anfang der Neunziger sind zwei (!) noch heute aktiv. Damals waren wir ca. 10-15 Jugendliche. Die Chancen, dass die am Sonntag geehrten Jugendlichen also noch 2025 aktiv sein werden, sind verschwindend gering. Vor allem wenn nicht mal die Alten als gutes Vorbild den Ehrungen beiwohnen.

Spielsystem

Ein einheitlicher Spielmodus ist nicht existent. Das liegt zum Teil daran, dass die Mannschaften auf Bundesliga-Niveau nicht einen Deut von ihrem Spielmodus abweichen wollen, während in den unteren Ligen die Mannschaften gar nicht mehr so viele Spieler haben, wie nötig wäre. Das Ergebnis? Kuddelmuddel von oben nach unten. Jede Liga hat ihre eigenen Regeln bezüglich Spielort, Mannschaftsgröße oder Wurfzahl.

Überblick gefällig?

1. Bundesliga

  • Heim- und Auswärtspiel
  • 6 Kegler je Mannschaft
  • 200 Wurf je Kegler

Verbandsoberliga (neu gegründet ab 2011/2012)

  • Spiel an neutralem Ort
  • 6 Kegler je Mannschaft
  • 120 Wurf je Kegler

Verbandsliga (neue Bestimmungen ab 2011/2012)

  • Spiel an neutralem Ort
  • 5 Kegler je Mannschaft
  • 120 Wurf je Kegler

Verbandsklasse (neue Bestimmungen ab 2011/2012)

  • Spiel an neutralem Ort
  • 4 Kegler je Mannschaft
  • 120 Wurf je Kegler

Kreisebene

  • Spiel an neutralem Ort
  • 4 Kegler je Mannschaft
  • 100 Wurf je Kegler

Und bei den Damen sieht es wieder ganz anders aus. Verglichen mit dem Fußball wäre es in etwa so, als wenn in der Bundesliga mit elf Mann ein Hin- und Rückspiel über 90 Minuten bestritten wird. Ab der vierten Liga dann mit elf Mann nur 75 Minuten, ab der Bezirksliga mit 9 Mann 75 Minuten und auf Kreisebene nur noch mit 7 Mann 60 Minuten gespielt wird. Im Kegelsport ist das Usus.

Dazu muss man sagen, dass es aus der Not geboren ist. Wenn die oben spielenden Mannschaften sich nicht bewegen und die Basis wegbricht, dann muss man sich den Gegebenheiten anpassen. Und das tut für gewöhnlich immer erst die Basis. Ich bin gespannt, wie lange es noch dauert, bis diese Erkenntnis auch bei den Bundesligamannschaften gereift ist.

Zukunft

Praktisch nicht vorhanden. Punkt. Auf die Frage von Steffi, wie lange ich denn noch Kegeln will, antwortete ich:

„S0lange ich noch lebe. Oder solange es noch den Kegelsport gibt.“

Ich gehe momentan davon aus, dass letztere Option eher eintrifft. Nach optimistischen Einschätzungen wird es den Verein, in dem ich jetzt kegel in zehn Jahren nicht mehr geben. Wie gesagt, ich bin mit fast 35 Jahren der mit Abstand jüngste. Alle anderen sind zum Teil deutlich über 50 Jahre. Schon jetzt bildet die Altersgruppe über 60 Jahre die größte Fraktion im Kegelsport. Der Nachwuchs ist mangels Attraktivität des Sports praktisch nicht vorhanden.

Attraktivität

Und wo wir gerade dabei sind. Bemühungen, den Kegelsport attraktiver nach außen darzustellen, verpufften nahezu ungehört. Einige Bahnbetreiber renovierten ihre Bahnen für teures Geld, um so dem miefigen Hinterzimmerimage zu entkommen. Mit bescheidenem Erfolg.

Ein Werbefeldzug, mit dem Spruch, dass Kegeln eine „umwerfende Sportart“ ist, wurde zum Waterloo.

Entsprechend kann man die Voreingenommenheit der Kegler verstehen, als vor einigen Tagen bei einem Pokalspiel ein Fernsehteam anwesend war. Nach einem denkbar knappen Ausgang des Pokalspiels wurde entsprechend gefeiert und die Kamera hielt voll drauf, als ein großes Glas Bier rumging. Die Befürchtung, dass ausgerechnet das über den Äther geht und den Kegelsport wieder in eine bestimmte Ecke rückt, sind groß. Die Beteuerungen des Fernsehteams, die Unterschiede zwischen Hobbykeglern und Sportkeglern herauszustellen, wirkten auf mich zwar glaubwürdig. Aber wissen wird man das erst am Tag der Ausstrahlung.

Fazit:

Es braucht schon ein Wunder, den Kegelsport wieder zu einem Breitensport avancieren zu lassen. Hoffnung darauf haben die realistischeren Zeitgenossen unter uns keine mehr. In Zeiten, wo der Individualsport im Vordergrund steht und nur Sportarten wie Fußball oder Handball als Teamsport gesellschaftsfähig sind, wird der Kegelsport immer mehr an den Rand gedrängt. Dazu kommt der teure Unterhalt von Kegelbahnen.

Sicher hat der Mitgliederschwund auch mit der gesellschaftlichen Entwicklung zu tun. Und ich meine nicht nur demoskopisch. Früher war es noch üblich, in Gesellschaft einer körperlichen Ertüchtigung nach zu gehen. Heute, in Zeiten der neoliberalen Wirtschaftssysteme, wird das Prinzip des Stärkeren gefördert. Einzelgängertum kontra Teamgeist. Was auch das verstärkte Aufkommen der individuellen Trendsportarten erklärt. Vergleicht mal, wie viele davon Mannschaftssportarten sind…

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Hand ins Feuer

Seit fast zwei Jahren wohnen wir nun schon in Düsternort. In unmittelbarer Umgebung der Zentrale einer lokalen Einzelhandelskette, bei der ich vor knapp 20 Jahren mal nebenbei gearbeitet habe.

Dort habe ich in der Getränkeabteilung das Pfand angenommen, war aber auch für die eine oder andere Aufgabe im Laden beschäftigt. „ZBV“ – zur besonderen Verwendung – wie es so schön hieß.

Der Kollegenkreis war recht übersichtlich. Fluktuationen gab es so gut wie keine. Insgesamt habe ich knapp drei Jahre dort gearbeitet.

In dieser Zeit fing im Laden jemand an, der hauptsächlich in der Getränkeabteilung eingesetzt wurde. Er war locker drauf, haute gerne mal auf die Kacke und hatte immer einen Spruch auf Lager. Er war der erste, den ich damals mit einem Handy gesehen hatte. Anfang der 90-er noch ein richtiger Knochen und kein Vergleich zu den Geräten von heute. Mal eben in die Jackentasche stecken war nicht drin. Es sei denn, man hatte eine Umhängetasche dabei. Aber man war jederzeit erreichbar. Wenn man bereit war, ein mittleres Vermögen für die Tarife zu blechen.

Bei den ZBVs war der Kollege recht beliebt, pflegte er doch einen recht lockeren Umgang mit uns. Nicht wie manch andere Kollegin, die streng war und uns wie Vieh herumkommandierte. Er packte auch mal mit an, wenn Not am Mann war. Kurz, ein Kumpeltyp.

Eines Tages wurde ich angeschrieben, dass ich mich in der Zentrale einzufinden habe. Ich hatte keinen blassen Schimmer worum es ging. Im Besprechungszimmer saß ich dem großen Oberboss der kleinen Kette gegenüber, der mit seiner breiten Figur und dem immer grimmigen Gesicht einem Respekt einflößen konnte.

Im Getränkebereich stimmten seit einiger Zeit die Kassenbeträge nicht mehr. Ob ich mich dazu äußern wolle. Ich hatte keine Ahnung davon und konnte mir auch niemanden vorstellen, der bei uns zu sowas fähig wäre.

Der Oberboss hatte auch jemanden in Verdacht: Den Neuen.

„Niemals“, sagte ich. „Für den würde ich sogar meine Hand ins Feuer legen.“ Was ich aber auch für jeden anderen gemacht hätte. Sogar der garstigen Furie, die uns wie Vieh behandelte.

„Vorsicht“, erwiderte der Oberboss. „Wenn man die Hand für andere ins Feuer legt, kann man sich ganz schnell die Hand verbrennen.“

Das saß, und ich musste eingestehen, dass ich zu solch einem Risiko auch nicht bereit bin.

Einige Tage später, ich war wieder im Laden, hieß es, dass der Neue fristlos gekündigt wurde. Er hatte den Diebstahl zugegeben. Dabei hatte er auch seine alleinige Schuld eingestanden und uns ZBVs entlastet. Denn wir standen unter Verdacht der Beihilfe, wie ich später erfuhr.

Und jedesmal, wenn ich jetzt an dem kleinen Gebäude vorbei fahre, denke ich daran, dass ich vorsichtig bin, ob und für wen ich meine Hand ins Feuer legen würde. Denn man kann sich schnell mal die Hand für den Falschen verbrennen.

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